Dietrich Bonhoeffer
Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein für christliche Pädagogik Mannheim e.V. hat Dietrich
Bonhoeffer, den Pfarrer, Theologen und Märtyrer im Widerstandskampf gegen Hitler deshalb
zum Namensgeber gewählt, weil sein Leben und sein Werk die Motive und Ziele unseres
pädagogischen Handelns veranschaulichen. Er ist für uns beides: Vorbild und
Herausforderung.
Wir freuen uns, dass uns der Bonhoefferexperte Prof. i.R. der Universität Mannheim Dr. Dr. habil. Rainer Mayer einen Überblick über unseren Namensgeber verfasst hat.
Wir freuen uns, dass uns der Bonhoefferexperte Prof. i.R. der Universität Mannheim Dr. Dr. habil. Rainer Mayer einen Überblick über unseren Namensgeber verfasst hat.
1. Herkunft
Die Zwillinge Dietrich und Sabine Bonhoeffer wurden am 4. Februar 1906 als sechstes und
siebtes Kind unter acht Geschwistern geboren. Sie wuchsen im großbürgerlichen Milieu der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Dietrich Bonhoeffer war sein Leben lang dankbar für
sein Elternhaus. Er wusste, dass er zwar durch diese Herkunft in seinen Startchancen
gegenüber manchen Altersgenossen bevorzugt war, doch zugleich hatte er zu Hause gelernt,
dass daraus die Verpflichtung erwächst, sich für Andere einzusetzen. Selbstdisziplin prägte
seine Persönlichkeit. Allen Bonhoeffer-Geschwistern war oberflächliches Geschwätz zuwider.
In einem seiner letzten Briefe aus dem Gefängnis schrieb Dietrich später rückblickend: „Ich
habe es als einen der stärksten Erziehungsfaktoren in unserer Familie empfunden, dass man
uns so viele Hemmungen zu überwinden gegeben hat (in Bezug auf Sachlichkeit, Klarheit,
Natürlichkeit, Einfachheit etc.), bevor wir zu eigenen Äußerungen gelangen konnten.“
Dietrich Bonhoeffer scheute sich nicht, von „Elite“ zu sprechen. Aber Elite entstand für ihn
nicht durch Beanspruchung von Privilegien, sondern durch persönlichen Einsatz und
gegebenenfalls auch Opfer für das Miteinander im Gemeinwesen.
2. Bildung
Dietrich Bonhoeffer war kein Erziehungswissenschaftler, auch nicht professioneller
Pädagoge. Aber er handelte vorbildlich in pädagogischer Praxis. Denn stets widmete er sich
den zu unterrichtenden Kindern mit ganzer Hingabe. So übernahm er während seines
Theologiestudiums 1925 eine Kindergottesdienstgruppe. Den Kindern erzählte er lebendig
und spannend biblische Geschichten. Bald jedoch genügten den Kindern die sonntäglichen
Vormittage nicht mehr. Da lud er sie zusammen mit seiner Schwester zum Spielen ein und
unternahm mit ihnen Ausflüge.
Als Vikar an der Deutschen Auslandsgemeinde in Barcelona 1928/29 fing er mit der
Jugendarbeit in dieser Gemeinde überhaupt erst an. Er besuchte die Eltern der Kinder und
Jugendlichen. Auf die erste Einladung zum Kindergottesdienst erschien nur ein Mädchen. Am
nächsten Sonntag waren es schon 15 Kinder, beim übernächsten Mal dann bereits 30. Auch
hier war Bonhoeffer ganz für die Kinder und Jugendlichen da. Die Tür zu seiner Wohnung
stand ihnen stets offen.
Dasselbe gilt für die Konfirmandenklasse, die er als junger Pfarrer an der Berliner
Zionskirche übernahm. In diesem Arbeiterviertel (Berlin-Mitte / Prenzlauer Berg) mietete er
sich sogar ein Zimmer, wo ihn die Jugendlichen stets besuchen konnten.
Die ganzheitliche persönliche Zuwendung setzte Bonhoeffer auch auf anderem Niveau fort:
Als Dozent an der Universität gegenüber den Studenten und danach als Leiter eines
Predigerseminars der Bekennenden Kirche gegenüber den Vikaren.
Bonhoeffers Bedeutung als Pädagoge besteht nicht in einer Theorie oder einem
pädagogischen Programm. Sie liegt auf dem Gebiet der menschlichen Identität, der
Persönlichkeit, der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und ganz für Andere da zu
sein. Darin ist er Vorbild und Herausforderung.
3. Glaube
Dietrich Bonhoeffer ist in der Spannung zwischen christlicher Prägung in der Erziehung und
religiös gleichgültigem, ja kritischem Umfeld herangewachsen. So war er kein Verächter von
christlicher Tradition, aber ebenso war ihm bewusst, dass Überlieferung allein nicht trägt. Für
jeden Menschen ist es wichtig, zu einer persönlichen Überzeugung zu finden. Das gilt in
besonderer Weise für den christlichen Glauben, der ja ganz auf Freiwilligkeit beruht.
Bonhoeffer unterscheidet deshalb den persönlichen christlichen Glauben klar von bloßer
Religiosität. Im Glauben, der mehr ist als Gewohnheitschristentum, geht es um eine
persönliche Beziehung des Einzelnen zu Jesus Christus. Daraus folgt ein persönlicher Weg
der Jesusnachfolge (vgl. Bonhoeffers Buch „Nachfolge“). Etwa im Jahre 1932 war es, dass
Bonhoeffer selbst eine Glaubensvertiefung erfuhr. Drei Jahre später berichtete er brieflich
seinem Bruder Karl-Friedrich darüber: „Als ich anfing mit der Theologie, habe ich mir etwas
anderes darunter vorgestellt — doch vielleicht eine mehr akademische Angelegenheit. Es ist
nun etwas ganz anderes daraus geworden… Und das macht mich oft sehr glücklich… Es gibt
doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromisslos einzutreten. Und mir scheint,
der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas.“ — Ein
weiteres Jahr später schrieb er in einem anderen Brief rückblickend: „Dann kam etwas
anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum
ersten Mal zur Bibel… Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche
gesehen, darüber geredet und gepredigt — und ich war noch kein Christ geworden… Daraus
hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt… Das war eine große
Befreiung.“
In diesem von Bonhoeffer bezeugten Sinne ist bewusster Glaube entscheidend für ein
Christsein, das im Alltag Früchte trägt. Frommes Mitläufertum allein genügt nicht.
4. Öffentliche Verantwortung
Kirche und Staat, ebenso Glaube und Politik, dürfen nicht in eins gemischt werden. Wer
jedoch verantwortlich denkt und handelt, wird in politische Zusammenhänge hineingezogen.
So war es auch bei Dietrich Bonhoeffer. Er wollte an erster Stelle Pfarrer, Seelsorger und
Verkündiger des biblischen Evangeliums sein. Aber als der Staat sich unter Hitler in eine
Diktatur verwandelte, sah sich Bonhoeffer gezwungen, für Freiheit einzutreten und sich für
die Verfolgten und Unterdrückten einzusetzen. Das waren insbesondere die Juden. Schon im
Februar 1933, direkt nach Hitlers Machtergreifung, warnte Bonhoeffer in einem
Rundfunkvortrag vor einem „Führer“, der zum „Verführer“ wird. Bereits im April dieses
Jahres veröffentlichte er einen Aufsatz, in dem er feststellte, dass die Kirche nicht nur einen
karitativen Auftrag an den unschuldigen Opfern eines totalitären Staates hat, sondern dass es
notwendig werden kann, den Rädern eines Unrechtsstaates „selbst in die Speichen zu fallen“,
also aktiven Widerstand zu leisten.
Durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi wurde Bonhoeffer nach Kriegsbeginn zur
Mitarbeit in der militärischen Abwehr, dem militärischen Geheimdienst, herangezogen. Weil
er seit Anfang der 30er Jahre durch seine Tätigkeit bei ökumenischen Organisationen, den
Vorläufern des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf, viele internationale Kontakte
gewonnen hatte, konnte er der Widerstandbewegung, die ihr Zentrum in der militärischen
Abwehr hatte, wichtige Dienste leisten. Bonhoeffer arbeitete fortan als Doppelagent. Nach
außen lautete sein Auftrag, über seine ökumenischen Auslandskontakte Kriegsvorhaben der
Alliierten zu erkunden. Tatsächlich aber ging es darum, die Alliierten über den deutschen
Widerstand zu informieren, um dem Widerstand durch entsprechende Zusagen der Alliierten
freien Rücken für einen Putsch gegen Hitler zu verschaffen. Denn ein Attentat auf Hitler wäre
ohne Berücksichtigung der Frage, wie es danach hätte weitergehen sollen, verantwortungslos
gewesen. Es hätte im Chaos geendet. Deutschland befand sich ja mitten im Krieg. Das
Morden sollte doch gestoppt werden! Eine neue Dolchstoßlegende wäre entstanden, die
gelautet hätte, Deutschland hätte den Krieg nur deshalb verloren, weil der Widerstand den
angeblich so genialen Feldherrn Hitler ausgeschaltet hatte.
Bonhoeffers Bemühungen blieben allerdings erfolglos, denn die Alliierten lehnten es ab, den
deutschen Widerstand zur Kenntnis zu nehmen. Nur in kirchlichen Kreisen des Auslands fand
Bonhoeffer Unterstützung, insbesondere in England bei George K. A. Bell, dem Bischof von
Chichester, der Mitglied des englischen Oberhauses war.
Nach dem Scheitern des Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli 1944, über das Bonhoeffer
informiert war, wurde die Widerstandsbewegung von Hitler zerschlagen. Bonhoeffer war am
20. Juli 1944 bereits seit über einem Jahr im Militärgefängnis Berlin-Tegel inhaftiert. Die
Anklage lautete „Zersetzung der Wehrkraft“. Nun aber wurde nach und nach die wahre
Dimension auch von Bonhoeffers Anteil am Widerstand aufgedeckt.
Hitler wollte Rache nehmen und keinen der Beteiligten überleben lassen. Am 9. April 1945
wurde Bonhoeffer, wahrscheinlich auf ausdrücklichen „Führerbefehl“, im
Konzentrationslager Flossenbürg ermordet.
In seiner Übernahme öffentlicher Verantwortung aus der ethischen Verpflichtung des
christlichen Glaubens heraus ist Bonhoeffer ein bleibendes Vorbild. Mögen sich auch Zeiten
und Situationen ändern, Bonhoeffers leitende Handlungsmotive bleiben richtungsweisend.
5. Zukunft
„Die Jugend ist unsere Zukunft“, lautet eine verbreitete Redensart. Um so wichtiger sind
Erziehung und Bildung. Problematisch hingegen sind Zeiterscheinungen, die kurzschlüssig
nur das Hier und Jetzt sehen und Herkunft sowie Zukunft aus den Augen verlieren. In seiner
Denkschrift für die Mitverschwörer „Nach zehn Jahren“, geschrieben an der Jahreswende
1942/43 hielt Bonhoeffer fest: „Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich
heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll.“ —Heutzutage, wo das „Heroische“ keine solche Rolle mehr spielt wie zu Bonhoeffers Zeit,
muss es lauten: „Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mein Schäfchen ins
Trockene bringe, meinen Vorteil wahre und mich billig aus der Affäre ziehe, sondern wie eine
kommende Generation weiterleben soll.“
Mit dieser Zukunftsverpflichtung und im Blick auf die Wurzeln und Ziele, die Bonhoeffers
Leben und Werk veranschaulichen, hat sich der Dietrich-Bonhoeffer-Verein für christliche
Pädagogik Mannheim e.V. seinen Namen gegeben. Bonhoeffers Glaube, seine Klarheit, sein
verantwortliches Handeln und seine Hinwendung zum Nächsten sind uns Vorbild und
Verpflichtung.
Text mit freundlicher Genehmigung von
Prof. i.R. der Universität Mannheim
Dr. Dr. habil. Rainer Mayer
Prof. i.R. der Universität Mannheim
Dr. Dr. habil. Rainer Mayer